Ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei einem Krankheitsfall weiterhin Lohn zu zahlen?
Die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers wird in Artikel 324a des Obligationenrechts (OR) geregelt. Das Gesetz sieht vor, dass der Arbeitgeber seinen Mitarbeitenden im Krankheitsfall für eine beschränkte Zeit den vollen Lohn weiter zahlen muss. Dazu ist er während einer bestimmten Dauer verpflichtet, abhängig vom Dienstjahr und sofern das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder wenn es für mehr als drei Monate eingegangen wurde. Die Bestimmung gilt entsprechend, wenn eine Arbeitnehmerin infolge Schwangerschaft an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung verhindert ist.
Wie lange gilt die Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit?
Die Dauer der Pflicht regelt das Gesetz nur für das erste Dienstjahr konkret: die Lohnfortzahlungspflicht dauert drei Wochen. Ab dem zweiten Dienstjahr besteht sie «für eine angemessene längere Zeit». Doch was heisst dies genau? Um diese Formulierung griffiger zu machen, hat sich in der Praxis die Anwendung verschiedener Skalen – die Berner Skala, Basler Skala und Zürcher Skala durchgesetzt.
Können sich Arbeitgeber gegen die finanziellen Folgen absichern?
Ja, das können sie. Die Lohnfortzahlungspflicht kann durch eine gleichwertige Regelung ersetzt werden (Art. 324a Abs. 4 OR). Den Arbeitgebern ist es somit möglich, sich von dieser Pflicht zu befreien und ihr finanzielles Risiko zu minimieren, indem sie eine kollektive Krankentaggeldversicherung (KTG) mit angemessener Versicherungsdeckung abschliessen. Ist eine Krankentaggeldlösung im Sinne des erwähnten Gesetzesartikel nicht gleichwertig, dann ersetzt sie die Lohnfortzahlungspflicht nicht, sondern ergänzt diese. Dies ist beispielsweise bei Wartefristen von 30 oder 60 Tagen der Fall.
Die Versicherung ist für den Arbeitgeber zwingend, wenn sie per Gesamtarbeitsvertrag (GAV) vorgeschrieben ist. In allen anderen Fällen ist das KTG freiwillig. Da die Lohnfortzahlungspflicht für ein Unternehmen je nach Situation und Krankheitsereignis schnell eine grosse finanzielle Herausforderung werden kann, ist eine Versicherung grundsätzlich zu empfehlen.
Welche Vorteile hat eine kollektive Krankentaggeldversicherung (KTG)?
Sie kann den Arbeitgeber finanziell entlasten, bietet Sicherheit und ermöglicht den Mitarbeitenden ein Einkommen im Falle einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Die Versicherung bezahlt die Taggelder in der Regel während 730 Tagen abzüglich der Wartefrist. So werden Deckungslücken bis zum Einsetzen der Invalidenversicherung (IV) oder der beruflichen Vorsorge (BVG) verhindert. Ein häufiger weiterer Vorteil besteht darin, dass der Arbeitgeber vom Case Management der Versicherungsgesellschaft unterstützt wird. Dieses unterstützt ihn dabei, seine, von einem Krankheitsfall betroffenen, Mitarbeitenden rasch wieder in den Arbeitsalltag einzugliedern.
Wer bezahlt die Prämie?
Die kollektive Krankentaggeldversicherung wird zwischen der Versicherungsgesellschaft und dem Arbeitgeber als Versicherungsnehmer zu Gunsten der versicherten Arbeitnehmer abgeschlossen. Deshalb schuldet der Arbeitgeber die Prämie. Von der Versicherung profitieren der Arbeitgeber wie auch die Mitarbeitenden gleichermassen. Deshalb ist es in der Praxis häufig so, dass die Mitarbeitenden einen Teil der Prämie übernehmen müssen. Die Prämienbeteiligung ergibt sich nicht automatisch aufgrund des Gesetzes. Sieht kein anwendbarer Gesamtarbeitsvertrag (GAV) diese vor, muss sie arbeitsvertraglich mit den Mitarbeitenden vereinbart werden.
Wie berechnet sich das Taggeld im Krankheitsfall?
Für die anwendbare Berechnungsmethode ist die jeweils abgeschlossene KTG-Versicherungspolice respektive die Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu Rate zu ziehen. Grundsätzlich dient als Basis für die Berechnung der AHV-pflichtige Lohn, der vor Krankheitsbeginn bezogen wurde. In der Regel versichert der Arbeitgeber bei der Krankentaggeldversicherung 80 Prozent des Lohnes, wobei er auch 90 oder 100 Prozent versichern kann. Bei einer Arbeitsunfähigkeit von 100 Prozent infolge Krankheit erhält der Mitarbeitende nach Ablauf der Wartefrist, die 7, 14, 30, 60 oder 90 Tage sein kann, sein Taggeld ausbezahlt.
Berechnungsbeispiel:
- Versicherter Jahreslohn: 100'000 Schweizer Franken
- Höhe der Krankentaggeldversicherung: 80 Prozent
- 80 Prozent von 100'000 Schweizer Franken = 80'000 Schweizer Franken
- 80'000 Schweizer Franken / 365 Tage = 219 Schweizer Franken pro Tag
Gut zu wissen:
Vereinbart der Arbeitgeber eine Wartefrist von mehr als 2 bis 3 Tagen, während derer gar kein Lohn bezahlt wird, kann dies dazu führen, dass die Versicherungslösung keine mindestens gleichwertige Regelung im Sinne von Artikel 324a Abschnitt 4 des Obligationenrechts (OR) mehr darstellt. Die vollständige Befreiung von der Lohnfortzahlungspflicht wäre nicht sichergestellt. Eine Beratung durch einen Experten lohnt sich.
Sind die Leistungen der Krankentaggeldversicherung sozialversicherungspflichtig?
Leistungen, die von der Krankentaggeldversicherung ausbezahlt werden, unterstehen nicht der Sozialversicherungspflicht. Daher müssen keine Abzüge für AHV, IV, EO und ALV getätigt werden. Anders sieht es aus, wenn der Lohn vom Arbeitgeber im Rahmen seiner Lohnfortzahlungspflicht bezahlt wird. Dann handelt es sich weiterhin um beitragspflichtiges Einkommen.
Was, wenn die Arbeitsunfähigkeit auch nach Ende des Arbeitsverhältnisses besteht?
Ob weiterhin Anspruch auf das Taggeld besteht, hängt von den Vertragsbedingungen der einzelnen Versicherer ab. Wird eine sogenannte Nachleistung gewährt, erbringt die Versicherungsgesellschaft mit Ausnahme gewisser Einschränkungen die Leistungen auch dann noch, wenn der Mitarbeitende bereits aus dem versicherten Betrieb ausgetreten ist.
Was gilt es bei einer Schwangerschaft und Mutterschaft zu beachten?
Bei Verhinderung an der Arbeitsleistung infolge Schwangerschaft, gilt die gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht gemäss Artikel 324a des Obligationenrechts (OR) ebenfalls.
Der Arbeitgeber hat in der Regel die Möglichkeit die Leistungen der Mutterschaftsentschädigung gemäss Erwerbsersatzgesetz (EOG) in seiner Krankentaggeldversicherung freiwillig mit einer Geburtengelddeckung zu ergänzen.
Wer zahlt die Heilungskosten bei Krankheit?
Spital- und Heilungskosten aufgrund einer Krankheit werden meistens im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nach KVG oder der freiwilligen Kranken-Zusatzversicherungen übernommen.
Berechnungsbeispiele Lohnfortzahlung anhand der Berner und Zürcher Skala
Wie lange die Lohnfortzahlungspflicht nach dem ersten Dienstjahr dauern soll, ist im Gesetz nicht konkret definiert. Sie soll für «eine angemessene längere Zeit» erfolgen. Um diesen angemessenen Zeitraum näher zu beziffern, haben sich in der Gerichtspraxis mehrere Skalen durchgesetzt, die helfen, die Dauer der Lohnfortzahlungspflicht festzustellen. Es handelt sich um die Zürcher Skala, die Basler Skala und die Berner Skala.
Beispiel: Oskar Müller, wohnhaft im Kanton Aargau, ist seit 3,5 Jahren bei einem KMU im Kanton Zürich angestellt, als er aufgrund einer schweren Erkrankung mehrere Wochen hospitalisiert werden muss und anschliessend einige Wochen in der Reha verbringt. Sein Arbeitgeber hat keine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen.
Lohnfortzahlung nach Berner Skala
Dienstjahr | Lohnfortzahlung |
Im 1. Dienstjahr | 3 Wochen |
Im 2. Dienstjahr | 1 Monat |
Im 3. und 4. Dienstjahr | 2 Monate |
Im 5. bis 9. Dienstjahr | 3 Monate |
Im 10. bis 14. Dienstjahr | 4 Monate |
Im 15. bis 19. Dienstjahr | 5 Monate |
ab dem 20. Dienstjahr | 6 Monate |
Lohnfortzahlung nach Zürcher Skala
Dienstjahr | Lohnfortzahlung |
Im 1. Dienstjahr | 3 Wochen |
Im 2. Dienstjahr | 8 Wochen |
Im 3. Dienstjahr | 9 Wochen |
Im 4. Dienstjahr | 10 Wochen |
pro weiteres Jahr | Je eine zusätzliche Woche |
Herr Müller ist bei seinem Arbeitgeber im 4. Dienstjahr tätig. Für die Bemessung wird die Zürcher Skala angewendet, da er im Kanton Zürich tätig ist. Somit hat er für einen Zeitraum von 10 Wochen Anspruch auf eine Lohnfortzahlung von seinem Arbeitgeber. Wäre er unter den gleichen Bedingungen im Kanton Neuenburg angestellt, in dem die Berechnung nach der Berner Skala erfolgt, hätte er 2 Monate lang Anspruch auf Lohnfortzahlung.